Pornscapes
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Pornscapes ist ein Bildband von Pierre Radisic.
Inhalt / Details
Pornscapes – pornografische Landschaften
Es liegt etwas zutiefst erregendes darin, die Lust bis hin zum schieren Wahnsinn zu peitschen. Zweifellos habe ich in den Armen dieses Mannes tief in mir sitzende körperliche Fähigkeiten entdeckt, wie ich sie mir niemals vorgestellt hätte. Pierres Unersättlichkeit regte meine Lust an der Leistung an. Das provokante Starren seiner Fotografenaugen weckte meinen latenten Exhibitionismus.
Wie jedes Paar, das Selbsterotik praktiziert, haben wir uns geliebt und Pierre hat fotografiert. Er wollte die Ausdruckskraft unserer Körper immer mehr steigern. Eine Art intimes Tagebuch begann Gestalt anzunehmen, mit uns beiden als einzige Protagonisten und nichts als dieser kleinen Autofokuskamera, die Zeugin unserer wiederholten leidenschaftlichen Wogen war. Ich muss erwähnen, dass wir zu dieser Zeit eintausend Kilometer voneinander getrennt waren; ich lebte in Montpellier und er in Brüssel. Wenn wir uns trafen, bemühten wir uns mehr als jedes andere Paar, das von der Leidenschaft der Liebe verzehrt wird, jene Leere zu füllen, von der wir wussten, dass sie uns bald wieder einholen würde. Straßenränder, Bahntoiletten, Küchentische oder Hotelzimmer – kein Ort war vor unserer Schamlosigkeit sicher. Unser Verlangen nach Vereinigung gönnte sich keinen Augenblick der Ruhe – die Unverfrorenheit unseres Begehrens war zügellos.
Das Liebesspiel und schnelle Schnappschüsse passen gut zusammen. Was wäre banaler, als das Erlebnis eines Gefühls hinauszuzögern, einen Orgasmus weit über seine Fälligkeit zurückzuhalten, die körperliche Ruhe für eine Weile aufzuschieben. Von einer Aufnahme zur nächsten, von Bild zu Bild entfaltet sich eine ganze Welt der Magie, nur um innezuhalten und sich wieder zusammenzunehmen, immer wieder… Nur zwischen uns beiden. Die Kamera war eine Verlängerung unserer Arme und deshalb weit entfernt von einem außenstehenden Voyeurauge. Sie lichtete ohne zu visieren alles ab, was es augenblicklich abzulichten gab. Ausgelöst von Pierre und auch von mir, auf die denkbar intuitivste Art und zu den falschesten Momenten, nahm die Kamera an unseren erotischen Spielen teil und enthüllte, was wir selbst nicht sehen konnten. Und der versetzte Blickwinkel auf den aus einem ausgestreckten Arm gemachten Aufnahmen brachte einige unvorhersehbare Bilder – unbekannte Bereiche unserer eigenen, ineinander verflochtenen Körper.
Wieder in Brüssel angekommen, war Pierre sehr ungeduldig und wollte sehen, was die Kamera aufgenommen hatte. Er legte so viele 24x36 Negative in den 4’x5’ Vergrößerer wie nur möglich. Es gingen sich sechs aus. Er wählte sie planlos aus, ohne auszuwählen und ohne konkrete Absicht, und druckte sie alle in einem Zug aus. Das Ergebnis war zunächst ungewiss, jedoch nicht weiter von Bedeutung; die Überraschung selbst wich einer neuen Welle der Erregung und verlängerte das Spiel aufs neue. Meine Kehle war noch tiefer, mein Geschlecht klaffender, seines durchdringender.
Eines Tages, als wir unsere neue Serie betrachteten, bemerkten wir, dass einige Bilder einander ergänzten. Es war, als ob eine geheime Absicht dahinter lag. Es ist nie ein reines Zufallsspiel… Plötzlich wurde eine Reihe von sechs Aufnahmen zu einem Bild… Das war der eigentliche Beginn der Arbeit, und Pierre beschloss, dieses Gerüst beizubehalten, hauptsächlich weil es ihn an die Partiten von J. S. Bach erinnerte. Innerhalb dieser starren und einschränkenden Form würden wir bestimmt viele mögliche Kombinationen finden und sie mit denkbar viel Freiheit und Fantasie abstimmen können.
Unser Körperspiel der Zweisamkeit setzte sich also fort, während wir die Kontaktabzüge zerschnitten und neu zusammenfügten. Die körperliche Verschmelzung von Liebe und Chaos vervielfachte sich weiter, indem wir einfach die Bilder einander penetrieren oder hervorheben ließen. Zusammen waren sie wohl im Stande, eine neue Sprache zu entwickeln und eine neue organische Verbindung aufrechtzuerhalten, sei diese geometrisch oder metaphorisch, konkret oder abstrakt, abhängig nur von unserer Vorstellungskraft und dem Grad der Deutung und des Verstehens. Jeder Übermut war erlaubt, nur um die Realität etwas weiter zu rücken und uns den mentalen Orgasmus zu bescheren. Ein wenig wie einst bei Hans Bellmer konnte nun auch das, was in unseren Köpfen vor sich ging, endlich zum Vorschein kommen. Für ihn waren Raum und Zeit durch die Wirklichkeit nicht mehr eingeschränkt. Wir nahmen uns sogar das Recht heraus, unsere Umgebung erotisch zu belegen – Landschaft oder Architektur, mit der wir so oft eine Verbindung eingehen wollten.
In dieser Serie von Arbeiten will der Liebesakt nicht als Akt präsentiert werden. Wie wohl er durch die urtümlichsten sexuellen Instinkte genährt wird, sind es komplexe, intensiven Überlegungen entstammende Kompositionen, die ihn hier zur Explosion bringen. Er erneuert sich in endlosen freien Variationen, mehr einem sexographischen als dem pornographischen Genre zugehörig. Wie auch andere ausschweifende Paare, beispielsweise Gainsbourg/Birkin, oder Lennon/Ono, die in ihrer überbordenden Leidenschaft eine gemeinsame Arbeitsgrundlage gefunden hatten, hat auch die hier präsentierte Art der Fotografie ihre eigene, ausdrucksvolle und positive Sprache gefunden. Eine wohlerwogene Absicht, dem Surrealismus in Form von zusammengefügten Gebilden und kompakten oder zerworfenen hybriden Wesen freien Lauf zu lassen. Denn das Verlangen, einander zu penetrieren, ein Geschlecht zu vereinnahmen, zu spüren, wie der Höhepunkt die Magengegend zerreißt – all das kennt keine Grenzen. Füße, Mund, Pobacken, Brüste, Glieder – alles kann betrachtet, angefasst, geleckt werden, und zwar gleichzeitig. Man muss dazu nur die permanente kreative Kraft des Verlangens erkennen.
Verlag
Goliath Verlag.
Autor
Pierre Radisic